Im Frühling sah ich einen Cartoon, in dem die Figuren feststellten, dass das Jahr 2020 fehlerhaft begonnen habe, und fragten, ob es nicht möglich sei, das Jahr wie einen Computer einfach über einen Reset-Knopf nochmals neu zu starten. Wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, glaube ich fest daran, dass es viel über die menschliche Natur und unseren Umgang mit außergewöhnlichen Lebenssituationen offenbart hat. Es hat uns allen gezeigt, wie wichtig die Freiheit ist, sich überall frei bewegen und jeden überall und jederzeit treffen zu können, den wir treffen möchten. Es brachte uns auch dazu, die wirklich wichtigen Menschen in der Gesellschaft erkennen, die unsere Wertschätzung verdienen, dafür, dass sie Verantwortung übernehmen, hart in der Pflege der Betroffenen und Hilfsbedürftigen oder in der Forschung arbeiten, um die Impfstoffe und Hilfsmittel gegen die Pandemie zu finden. Dieses Jahr gibt auch ein starkes Signal für die Solidarität in der Gesellschaft. Zu Hause zu bleiben und Masken zu tragen ist nicht nur als Mittel zum Schutz der eigenen Person wichtig, vielmehr noch zum Schutz anderer, schutzbedürftigerer Mitglieder der Gesellschaft, auch wenn sie möglicherweise unsere engsten Verwandten sind. Da ich einige Menschen kenne, die vom Virus hart getroffen wurden, habe ich nur begrenztes Verständnis für die Behauptung, dass uns unsere Grundrechte entzogen werden. Wachsamkeit in Bezug auf Grundrechte ist natürlich in Ordnung, aber die Schaffung und Verbreitung dubioser Ideologien (um nicht das Wort „Theorie“ zu verwenden, die eine Verbundenheit dieser seltsamen Ideen mit der Wissenschaft darstellt) scheint mir eher ein Ausdruck von Angst, Unsicherheit und einem Mangel an Fähigkeit, das Problem ruhig, evidenzbasiert und effektiv anzugehen, ohne die Solidarität und die soziale Kohärenz in unseren Gesellschaften zu beeinträchtigen.

Für mich persönlich nutzte ich die Gelegenheit, um in dem Land, in dem ich lebe, herumzuziehen, so oft wie möglich in der Natur zu sein und gleichzeitig die Aufgaben in meinem Job so gut wie möglich zu erledigen. Leider waren aber keine Geschäftsreisen möglich, die mir in der Vergangenheit so oft die Gelegenheit gaben, die Gastländer und Städte fotografisch zu erkunden. Dafür habe ich neue Ansätze ausprobiert und mehr über Kunst im Allgemeinen und Fotografie gelernt, wobei ich mich auf den kreativen Prozess konzentrierte. Neben dem Tessin-Workshop von FineArtPix nahm ich am Kurs „Seeing Through Photographs“ über Coursera teil, der von Sarah Meister, Kuratorin für Fotografie beim MOMA, betreut wird. Die Konzentration auf den kreativen Prozess führte zu Experimenten mit weniger konventionellen Methoden bei Aufnahme und Nachbearbeitung, die ich wahrscheinlich nächstes Jahr fortsetzen werde.

Allen meinen Freunden, meiner Familie und den Lesern meines monatlichen Blocks wünsche ich ein weniger herausforderndes, entspannteres und gesünderes neues Jahr, Widerstandsfähigkeit gegen die Schläge, die das Leben manchmal für uns bereit hält und dass zumindest einige Ihrer Wünsche in Erfüllung gehen!

Und nun wollen wir glauben an ein langes Jahr, das uns gegeben ist, neu, unberührt,
voll nie gewesener Dinge, voll nie getaner Arbeit,
voll Aufgabe, Anspruch und Zumutung; und wollen sehen, daß wirs nehmen lernen,
ohne allzuviel fallen zu lassen von dem, was es zu vergeben hat,
an die, die Notwendiges, Ernstes und Großes von ihm verlangen.

Rainer Maria Rilke, Brief and seine Frau Clara, 1. Januar 1907